FAZ.NET, 29.07.2023
Landtagswahl Hessen
Warum die CDU nicht auf ältere Wähler vertrauen kann
Falk Heunemann
Bei der Landtagswahl im Herbst werden Wähler über 60 Jahre die meisten Stimmen abgeben. Davon will gerade die CDU profitieren. Doch der Trend zeigt in eine andere Richtung.
Die CDU glaubt zu wissen, was ältere Menschen wollen: Gebührenfreies Studieren für Senioren, Sicherheitsberater, eine flexible Teilzeit-Rente, lokale Seniorenbeiräte, ein alljährlicher Großelterntag, und dass Bustickets und Formulare in Behörden weiterhin auf Papier erhältlich sind. 23 Punkte, mit denen sich die Partei die Stimmen der älteren Wähler sichern will, haben die Christdemokraten in ihrem Programm für die hessische Landtagswahl aufgelistet.

Denn die Senioren gewinnen politisch an Gewicht: Mehr als 1,6 Millionen der 4,3 Millionen Bürger, die am 8. Oktober den neuen Landtag bestimmen können, werden älter als 60 Jahre alt sein, wie das Statistische Landesamt ermittelt hat. Die Älteren stellen damit 38 Prozent aller Volljährigen mit deutscher Staatsbürgerschaft, größer ist keine andere Altersgruppe. Zum Vergleich: Anfang der Neunzigerjahre gehörte nur jeder vierte Wahlberechtigte in Hessen dazu.

Diese Zahlen dürften jene Partei interessieren, bei denen traditionell ältere Wähler ihr Kreuz machen: Von den mindestens 70 Jahre alten Wählern votierten mehr als 43 Prozent für die Christdemokraten, während die Partei im Gesamtergebnis nur 27 Prozent erhielt.

Ältere gehen eher zur Wahl

Dieses Verhalten war zuletzt auch bei der Oberbürgermeisterwahl in Frankfurt zu beobachten: Ohne die 60-plus-Generation hätte es CDU-Mann Uwe Becker im März nicht einmal in die Stichwahl geschafft: Bei allen jüngeren Altersgruppen lag er auf dem dritten Platz.

Doch da 58 Prozent der Älteren für ihn votierten, konnte nach der Endabrechnung Becker statt Grünen-Kandidatin Manuela Rottmann in die Stichwahl einziehen - wo er knapp Mike Josef (SPD) unterlag. Hätten nur die Älteren am 26. März abgestimmt, wäre Becker das Frankfurter Stadtoberhaupt.

Dazu kommt, dass Wähler über 60 Jahre nicht nur eher für konservative Parteien stimmen, sondern auch eher zur Wahl gehen. 2018 gaben fast drei Viertel der Älteren ihre Stimmen ab, bei den Altersgruppen unter 35 war es nur die Hälfte.

Aus solchen Zahlen wird herausgelesen, dass die demographische Entwicklung für die CDU ein Wahlvorteil sei. Doch die Schlussfolgerung, dass Wähler, je älter sie würden, umso konservativer würden und folglich auch konservativere Parteien wählten als in ihrer Jugend, ist falsch. "Das Alter allein kann Unterschiede im Wahlverhalten nicht erklären", heißt es etwa in einer Studie zum Wahlverhalten, welche die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung vor zwei Jahren erstellt hat. Wichtiger seien Faktoren wie Bildung und Einkommen sowie individuelle Werteeinstellungen.

Der Duisburger Politikwissenschaftler Achim Goerres spricht gar von einem "Mythos". Es lasse sich schlicht nicht belegen, dass Menschen mit zunehmendem Alter immer konservativer würden und dementsprechend wählten.

Ganz so hart würde es wohl nicht jeder Wissenschaftler formulieren. In ihren unterschiedlichen Erklärungsansätzen spielt tatsächlich das Alter eine eher untergeordnete Rolle. Die hohen Stimmenanteile für die CDU ließen sich unter anderem damit erklären, wann die Wähler politisch sozialisiert wurden und welche Parteienbindung sie damals aufbauten. Bei den heute über Sechzigjährigen waren es die Achtzigerjahre, sie sind in diesem Sinne die Generation Kohl.

Andere Ansätze fragen nach dem sozialen Umfeld der Wähler, von welchen Parteien sie sich den höchsten Nutzen versprechen, oder welchen sozialen Milieus sie aufgrund ihres Einkommens und der Grundorientierung zugeordnet werden können. Langfristige Bindungen wie Religion oder Gewerkschaftsmitgliedschaft spielen dagegen eine immer geringere Rolle. Die Bereitschaft, auch mal eine andere Partei zu wählen oder sich zeitweise zu enthalten, hat dagegen zugenommen.

Dass die CDU sich also nicht einfach darauf verlassen kann, auch in Zukunft bei den Älteren eine Mehrheit zu haben, zeigen auch die hessischen Zahlen. In den vergangenen 20 Jahren ist auch unter den über Sechzigjährigen der Anteil jener, die konservative Parteien gewählt haben, deutlich zurückgegangen.

2018 hatte die CDU ihre größten prozentualen Verluste nicht etwa bei den Jüngeren hinzunehmen, sondern in der Altersgruppe zwischen 60 und 70. Zugleich kamen die Grünen in dieser Altersgruppe schon auf 20 Prozent - genauso viel wie bei den Wählern zwischen 25 und 35. Und selbst bei den Wählern über 70 verdreifachte sich damals der Stimmenanteil für die Grünen. Dieser Zugewinn ging zwar hauptsächlich auf Kosten der SPD. Er zeigt aber, das eine alternde Bevölkerung der CDU keinen Wahlsieg garantiert.

F.A.Z.
 
Alle Rechte vorbehalten © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main 
Vervielfältigungs- und Nutzungsrechte für F.A.Z.-Inhalte erwerben Sie auf www.faz-rechte.de